Venezuela, China und die Verteidigung des Petrodollars – Ein Libyen 2.0?

Venezuela, China und die Verteidigung des Petrodollars – Ein Libyen 2.0? * Der Konflikt zwischen den USA und Venezuela hat wenig mit Drogenbekämpfung zu tun – und alles mit Öl, China und dem bedrohten Petrodollar. Während Washington militärisch aufrüstet, verkauft Caracas sein Öl zunehmend in Yuan und Tether. Die Frage drängt sich auf: Steht ein „Libyen 2.0“ bevor – ein Angriff zur Verteidigung der globalen Dollarordnung?

von Michael Hollister

Erstveröffentlicht bei FREE21 Magazin am 05. November 2025

1.323 Wörter * 7 Minuten Lesezeit

Die Zuspitzung der Lage zwischen den USA und Venezuela in den vergangenen Wochen wird offiziell mit dem Kampf gegen Drogen und die dortigen Drogenkartelle begründet. Ein massives militärisches US-Aufgebot mit Kriegsschiffen, Kampfjets und vielen tausend Marines sollen im südlichen Karibik-Raum den Schmuggel von Drogen und die Aktivitäten der Drogenbande „Tren de Aragua“ unterbinden.

Ein altes Sprichwort sagt:
Es gibt immer zwei Gründe. Den, den man benannt bekommt und den Wahren.

Ein genauerer Blick hinter die Fassade zeigt, dass sich hinter der offiziellen Erklärung der Drogenbekämpfung ein Konflikt von weit größerer Tragweite verbirgt. Es geht um den „Petro-Dollar“ und um Chinas wachsenden Energiehunger. Es drängt sich die Frage auf, ob mit Venezuela möglicherweise ein zweites Libyen geschaffen werden soll.

Der benannte, offizielle Grund: Kampf gegen Drogen

Am 2. September 2025 versenkte ein US-Luftschlag ein venezolanisches Schnellboot, angeblich betrieben von der Bande ‚Tren de Aragua‘. Elf Menschen kamen dabei ums Leben. Für Washington war dies ein Schlag gegen den Drogenhandel, für Caracas hingegen ein Angriff auf die eigene Souveränität. Präsident Trump drohte sogar, venezolanische Jets abzuschießen, sollten sie sich US-Kriegsschiffen nähern (Politico, 2.9.2025; AP News, 5.9.2025) und verlegte zusätzlich 10 F-35 Kampfjets in die Region (Reuters, 6.9.2025).

Der nicht benannte, wahre Hintergrund: Öl, Tether und Yuan

Venezuela sitzt auf den größten nachgewiesenen Ölreserven der Welt. Der weltweite Ölhandel wird in US-Dollar abgewickelt – dem „Petro-Dollar“ – ein Grundpfeiler des US-Finanzsystems. Die Maduro-Regierung steht seit Jahren unter US-Sanktionen und in diesem Rahmen vom US-Finanzsystem abgeschnitten – und somit auch vom US-Dollar. Caracas reagierte darauf mit der zunehmenden Abwicklung seiner Ölgeschäfte in Digitalwährungen wie Tether (USDT) oder verkauft sein Öl in Nationalwährungen, vornehmlich in Chinesischem Yuan. Mehr als die Hälfte aller Öl-Exporte erfolgt inzwischen in Tether. (Reuters, 3.9.2025; LiveBitcoinNews, 2025)

Die Öl-Exporte Venezuelas haben sich im laufenden Jahr 2025 fast verdoppelt. Im Februar lagen die Lieferungen nach China bei rund 500.000 Barrel pro Tag (bpd). Im Juni bei 850.000 bpd, im Juli bei 920.000 bpd und im August bei knapp einer Million bpd. Damit deckt Venezuela inzwischen 4-7% des chinesischen Ölbedarfs. (Reuters, 4.3.2025; Reuters, 2.7.2025; Reuters, 3.9.2025)

Chinas Rolle und Verwundbarkeit

Venezuela exportiert etwa 85-90% seiner gesamten Erdölfördermenge an China. Damit ist Peking der Hauptabnehmer von Venezuelas Öl und wichtigster Kunde. Dies ist, wie von Chinas Politik gewohnt, lange geplant und umgesetzt. Die Volksrepublik hat massiv in die Ölförderung des Karibikstaates investiert, u.a. in neue Förderplattformen im Lake Maracaibo. Damit soll die Maduro-Regierung in die Lage versetzt werden, seine Öl-Förderung von 12.000 bpd auf 60.000 bpd zu steigern – um 500%! Mittelfristig wäre es Caracas damit möglich, 1,5 bis 2 Millionen Barrel pro Tag zu fördern und damit den Energiehunger der Volksrepublik zu bedienen. All dies wird in Yuan und Tether fakturiert – somit außerhalb des US-Petro-Dollar-Systems. (Reuters, 4.9.2025)

Für die Beijing-Regierung ist das weit mehr als nur eine „nett gemeinte Hilfe unter Freunden“. In der Phase wachsender Industrieproduktion wächst Chinas Bedarf an Energieträgern, nach Öl und Gas, aus sicheren und günstigen Energiequellen. Die größten Lieferanten hierfür sind Russland, Brasilien und Saudi-Arabien. Jedoch muss ein Staat seine Bezugsquellen aus Sicherheitspolitischen Gründen diversifizieren und die Kapazitäten benannter Global Player sind begrenzt.

Der Verlust Venezoelanischen Öls würde China daher spürbar treffen da eine kurzfristige Substitution kaum möglich sein wird. Mit ihrer militärischen Intervention vor der Küste Venezuelas haben die USA somit ihren Sanktionen gegen Caracas Nachdruck verliehen, setzen aber nicht nur Maduro massiv unter Druck sondern haben ein probates Mittel gefunden, China direkt und hart bis ins Mark zu treffen.

Chinesische Investitionen in Venezuela

Besonders deutlich wird das Engagement der Volksrepublik in Zahlen: Das chinesische Unternehmen China Concord Resources investierte eine Milliarde US-Dollar in eine schwimmende Ölplattform im Lake Maracaibo. Die Förderung soll von 12.000 auf 60.000 Barrel täglich steigen. Grundlage ist ein 20-Jahres-Vertrag mit der staatlichen PDVSA. (Reuters, 4.9.2025)

Dieses Einzelprojekt ist eingebettet in eine viel größere finanzielle Beziehung: Seit 2005 hat das Südamerikanische Land insgesamt Kredite und Investitionen aus Peking in Höhe von fast 60 Milliarden US-Dollar erhalten, überwiegend für Energie- und Infrastrukturprojekte. Eine andere Schätzung setzt die Gesamtsumme der chinesischen Investitionen sogar bei über 67 Milliarden US-Dollar an. Zusätzlich besteht ein gemeinsamer bilateraler Investitionsfonds mit einem Volumen von etwa 12 Milliarden US-Dollar. (CFR, 2025; Harvard International Review, 2025; Law.Asia, 2025)

Diese enormen Beträge verdeutlichen: Die Interessen Chinas im Ölstaat am Orinoco gehen weit über den reinen Import des schwarzen Goldes hinaus. Es geht um massive Investitionen in Energie, Infrastruktur und langfristige wirtschaftliche Verflechtungen. China investiert hier in eine nachhaltige und schlagkräftige Partnerschaft. Jede US-Militärintervention oder Blockade stellt nicht nur eine Bedrohung für die Ölexporte nach China dar – sondern auch für die direkten Kapitalanlagen in Milliardenhöhe und Langfristpläne Chinas. Trump hebelt mit seiner Aktion gleich doppelt: Druck auf Maduro und ein eiskalter Schlag gegen China.

Parallelen zu Libyen

Die Situation erinnert stark an Libyen 2011. Muammar al-Gaddafi plante den US-Dollar im Ölhandel zu verdrängen. Dafür sollte eine neue panafrikanische Währung aus der Wiege gehoben werden – Gold gedeckt. Kurz darauf wurde Libyen militärisch zerschlagen, Gaddafi gestürzt und getötet. Heute geht es offiziell um Drogen, tatsächlich aber um die Frage, ob der Dollar als Leitwährung im Energiesektor unangetastet bleibt. Trumps Credo ist „Make America great again“ und dafür ist ein starker US-Dollar unumgänglich. Er kann und wird keinen Angriff auf die Machtstellung des Dollar zulassen. Die Bolivarische Republik Venezuela ist mit seinen riesigen Öl-Reserven ein Testfall. Wenn das Land offiziell und erfolgreich Öl außerhalb des Dollar-Systems verkaufen würde, könnte das andere Staaten ermutigen, es ihm gleichzutun – mit gravierenden Folgen für die US-Dominanz, insbesondere nach dem aktuell erfolgten, rapiden Anstieg der Exportmengen nach China – dem wirtschaftlichen und politischen Erzrivalen der USA.

Die Parallele ist frappierend: Auch damals begann es mit vorgeschobenen humanitären Gründen. Auch damals ging es letztlich um die Dollardominanz. Und auch damals wurde ein rohstoffreicher Staat ins Chaos gestürzt, der es gewagt hatte, das US-Finanzsystem zu umgehen.

Die innenpolitische Dimension

Neben der geopolitischen Dimension spielt auch die innenpolitische Agenda von Donald Trump eine Rolle. „Make America Great Again“ bedeutet in seiner Lesart auch, US-Macht durchzusetzen, den Dollar zu verteidigen und gegen unliebsame Regime Stärke zu zeigen. Ein konfrontativer Kurs gegen Maduro passt perfekt in dieses Profil und verschafft ihm innenpolitisch Rückhalt an den entscheidenden Stellen. Der Verweis auf den ‚Krieg gegen Drogen‘ bietet dabei einen populären, scheinbar unstrittigen Vorwand, der vom Amerikanischen Volk begrüßt wird und Trump Rückhalt gibt. (AP News, 5.9.2025)

Fazit

Die US-Militärpräsenz vor der Küste Venezuelas ist nur vordergründig ein Anti-Drogen-Einsatz. Alleine die Größe und Schlagkraft des aufgefahrenen Militärkontingents spricht eine klare und deutliche Sprache. Hinter den Schlagzeilen steht ein geopolitisches Ringen um die Zukunft des Petrodollars und um die Eindämmung Chinas – und damit um den Machterhalt der USA und seiner Dominanz. Maduro hat es gewagt, Öl außerhalb des Dollar-Systems und an US-Sanktionen vorbei, zu verkaufen – und China hat die Gelegenheit genutzt, seine Energieversorgung zu diversifizieren. Für Washington sind beide Entwicklungen inakzeptabel. Das Szenario eines ‚Libyen 2.0‘ ist damit keineswegs ausgeschlossen. Die Frage ist nicht ob, sondern wann und wie hart die USA zuschlagen werden. Ein zweites Libyen rückt näher.

Quellen (Auswahl)

Reuters, 3. September 2025: ‚Venezuela’s oil exports rise to 9-month high …‘

Reuters, 4. September 2025: ‚Floating oil facility arrives in Venezuela for China Concord’s project …‘

Reuters, 2. Juli 2025: ‚Venezuela’s oil exports rise as more cargoes head to China …‘

Reuters, 4. März 2025: ‚Venezuela’s oil exports rose in Feb ahead of Chevron’s license termination …‘

Politico, 2. September 2025: ‚Navy, in expanding role, conducts strike on drug vessel near Venezuela‘

AP News, 5. September 2025: ‚Maduro vows to defend Venezuela’s sovereignty as tensions rise with US‘

CFR, 2025: ‚China’s Influence in Latin America‘

Harvard International Review, 2025: ‚The Future of the Sino-Venezuelan Relationship‘

Law.Asia, 2025: ‚China–Venezuela trade and investment relations‘

LiveBitcoinNews, 2025: ‚USDT sparks the change in crude oil payments in Venezuela‘

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