Eine Analyse möglicher Szenarien – spekulativ, aber erschreckend plausibel
Erstveröffentlicht bei FREE21 Magazin am 20. Oktober 2025
1.956 Wörter * 10 Minuten Lesezeit
197 Milliarden Euro russisches Vermögen liegen eingefroren in Brüssel. Offiziell für die Ukraine bestimmt. Doch was, wenn Trump einen ganz anderen Plan hat? Was, wenn diese Milliarden der Schlüssel für einen geopolitischen Coup sind, der Europa zum Zahlmeister degradiert und Amerika wieder zur Supermacht macht?
Donald Trump ist ein politischer Akteur, der die internationalen Spielregeln nie akzeptiert hat, sondern lieber seine eigenen schreibt. Wo andere US-Präsidenten im Korsett von NATO, EU oder multilateralen Abkommen denken, bricht Trump bewusst aus. Seine Parole „America First“ ist nicht nur Wahlkampf-Slogan, sondern Leitlinie: Jobs, Wohlstand und Industrie im eigenen Land haben Vorrang vor geopolitischen Prestigeprojekten oder endlosen Kriegen (Politico, 12.3.2024).
Gerade im Ukraine-Konflikt könnte sich daraus eine Logik entwickeln, die Europa nachhaltig erschüttert. Ein denkbares Szenario: Trump zieht die USA aus der direkten Verantwortung, europäisiert den Krieg und führt gleichzeitig Russland sowie die USA in eine ökonomische Allianz. Im Zentrum stehen dabei die eingefrorenen 197 Milliarden Euro russischer Auslandsvermögen – ein höchstmotivierender Grund, der als Hebel für einen geopolitischen Meisterzug dienen könnte.
Trumps innenpolitische Logik
Trump denkt innenpolitisch. Seine Wähler haben ihn nicht gewählt, um neue Frontlinien in Osteuropa aufzubauen, sondern um Arbeitsplätze in Michigan, Ohio oder Pennsylvania zurückzuholen (The Hill, 8.11.2024). Sie wollen Fabriken statt Fronten, Krankenhäuser statt Panzerkolonnen. Die Ukraine ist für diese Wähler ein ferner Kriegsschauplatz, der keinen Nutzen bringt.
Genau daraus ergibt sich Trumps Handlungslogik: Rückzug aus dem Ukraine-Krieg und Fokussierung auf die heimische Wirtschaft. Während Washingtons Establishment Europa und die Ukraine mit milliardenschweren Hilfspaketen versorgen will, sieht Trump darin vor allem eines: gigantische Geldverbrennung (Bloomberg, 22.4.2024). Er würde den Konflikt stattdessen in europäische Hände legen, die USA damit nicht nur finanziell entlasten sondern daraus auch noch ein sehr profitables Geschäft für die US-Rüstungskonzerne generieren. (Die Zeit, 14.09.2025)
Europäisierung des Ukraine-Krieges
Die Konsequenz wäre eine Europäisierung des Konflikts. Trump könnte sagen: „Wenn ihr Europäer diesen Krieg unbedingt weiterführen wollt, dann bitte – kauft die Waffen bei uns, aber zahlt sie aus eigener Tasche.“ Für die USA ein Traum: Die Rüstungsindustrie läuft auf Hochtouren, ohne dass der amerikanische Steuerzahler belastet wird. Europa hingegen trägt die Kosten, die politischen Risiken und die ökonomischen Verwerfungen.
Damit schwächt sich die EU selbst. Die Deindustrialisierung Deutschlands, bedingt durch den Verlust billiger Energie aus Russland, Ausstieg aus der günstigen Atomenergie und durch Verlagerungen von Produktionsstätten in die USA, beschleunigt diesen Prozess (Handelsblatt, 15.11.2024). Europa verliert Schritt für Schritt seine Position als globaler Wettbewerber.
Die Hypothese Anchorage: Der 197 Milliarden Schlüssel oder was wirklich besprochen wurde
Im August 2025 trafen sich Trump und Putin in Anchorage, Alaska. Das Treffen dauerte zweieinhalb Stunden, beide nannten es „produktiv“ (Reuters, 15.8.2025). Offiziell ging es um die Ukraine. Doch Putin machte klar: Er will „russisch-amerikanische Beziehungen wieder normalisieren, einschließlich guter wirtschaftlicher Geschäfte“ (Associated Press, 16.8.2025).
Was, wenn in Alaska mehr besprochen wurde als nur ein Waffenstillstand? Was, wenn dort der Rahmen für eine ökonomische Allianz skizziert wurde? Trump sprach von „Übereinstimmung bei vielen Punkten, den meisten Punkten“ – konkret wurde er nicht (CNN, 16.8.2025). Die Hypothese: In Anchorage wurde nicht nur über Frieden geredet, sondern über Geschäfte. Große Geschäfte.
Anchorage – der Ort ist symbolisch. Hier, zwischen Amerika und Russland, wo sich 1987 Reagan und Gorbatschow trafen, könnte 2025 einer der weitreichendsten geopolitischen Schachzüge des Jahrhunderts vereinbart worden sein.
Das Szenario: 197 Milliarden als Schlüssel
197 Milliarden Euro russisches Vermögen liegen bei Euroclear eingefroren (Financial Times, 12.2.2024). Brüssel will das Geld für die Ukraine. Doch inoffiziell könnte ein ganz anderer Deal laufen: Moskau erhält zweckgebundenen Zugriff auf diese Gelder – nicht um sie in Europa zu investieren oder für den Wiederaufbau der Ukraine, sondern um sie in den USA einzusetzen.
Damit hätte Russland wieder Zugriff auf sein Eigentum, könnte Renditen erwirtschaften und sich neue Handlungsspielräume eröffnen. Trump hingegen bekäme Kapital für seine Reindustrialisierungspolitik und für gemeinsame Projekte mit Russland, etwa in der Arktis.
So könnte es ablaufen:
- Januar 2026: Trump kündigt überraschend ein ‚Arktis-Entwicklungsprogramm‘ mit russischer Beteiligung an. Finanzierung: 100 Milliarden Euro ‚aus privaten Quellen.‘
- März 2026: Erste Überweisungen von Euroclear an US-Banken. Offiziell für ‚ukrainische Wiederaufbauprojekte in amerikanischer Verwaltung.‘
- Mai 2026: Russische Unternehmen gründen Niederlassungen in Texas und Alaska…
Historische Präzedenzfälle: Eingefrorene Gelder als Machtinstrument
Trump wäre nicht der erste US-Präsident, der fremde Staatsgelder als Druckmittel einsetzt. Die Geschichte ist voller Beispiele:
Iran seit 1979: Über 40 Jahre lang nutzen die USA eingefrorene iranische Milliarden als Verhandlungsmasse. Noch 2023 gab Biden sechs Milliarden frei – für einen Gefangenenaustausch (Wall Street Journal, 18.9.2023).
Afghanistan 2021: Nach der Taliban-Machtübernahme verfügte Biden per Dekret über neun Milliarden afghanischer Zentralbankreserven. Die Hälfte ging an 9/11-Opfer, der Rest in eine Schweizer „Hilfsstiftung“ (New York Times, 11.2.2022).
Libyen 2011: 30 Milliarden Dollar wurden „über Nacht“ eingefroren – die größte Summe der Geschichte (Washington Post, 28.2.2011). Später floss das Geld in den „demokratischen Wiederaufbau“.
Das Muster ist immer gleich: Erst einfrieren, dann umwidmen, dann für eigene Ziele verwenden. Die 300 Milliarden russischer Gelder wären nur der bisher größte Fall.
Win-Win für Trump und Russland – Albtraum für Europa
Für Trump wäre dies ein Meisterzug. Russland bekäme sein eingefrorenes Vermögen faktisch zurück und könnte es gewinnbringend in den USA anlegen. Washington bekäme Hunderte Milliarden Euro frisches Kapital, das nicht aus den Taschen der eigenen Steuerzahler stammt. Damit ließe sich die amerikanische Industrie erneuern, neue Jobs schaffen und strategische Sektoren wie High-Tech, Energie oder Infrastruktur stärken (Fortune, 5.1.2025).
Für Europa hingegen wäre es eine doppelte Niederlage. Erstens würde es den Zugriff auf Gelder verlieren, auf die Brüssel bereits fest spekuliert hat. Zweitens würde es die Rechnung für den Ukraine-Krieg und den Wiederaufbau allein tragen müssen – finanziert vor allem durch den deutschen Steuerzahler. Damit wäre Europa nicht nur ökonomisch geschwächt, sondern auch politisch erpressbar.
Russland gebunden – USA frei für China
Noch weiter gedacht ergibt sich ein geopolitisches Dreiecksverhältnis: Russland bliebe militärisch in Europa gebunden, ökonomisch aber teilweise an die USA gekoppelt. Damit wäre für Trump eine der größten Gefahren gebannt: eine völlige Annäherung Russlands an China. Stattdessen könnte Moskau durch ökonomische Kooperation mit Washington zumindest teilweise aus Pekings Umlaufbahn herausgelöst werden.
Gleichzeitig würde Trump geopolitische Kapazitäten freisetzen: Die USA könnten sich ganz auf den eigentlichen Rivalen konzentrieren – China. China wächst seit Jahren rasant, produziert nicht nur billig, sondern zunehmend auch qualitativ auf Augenhöhe (Foreign Affairs, 15.9.2024). Es bedroht die US-Dominanz in Technologie, Industrie, Handel und Geoplotik. Wenn Trump Russland neutralisiert und Europa schwächt, hat er freie Hand. Die USA könnten sich ganz auf den eigentlichen Rivalen konzentrieren – China.
Wie könnte Trump erreichen, dass die EU diese 300 Milliarden freigibt?
Mehrere Wege sind denkbar:
Juristisch-ökonomischer Druck: Über das Dollar-System und US-Banken könnte Washington die EU faktisch blockieren, wenn sie sich weigert (CNBC, 3.7.2024).
Aufhebung von US-Sanktionen: Wenn die USA ihre Sanktionen aufheben, ist die EU isoliert und gezwungen nachzuziehen (Frankfurter Allgemeine, 18.12.2024).
Wirtschaftliche Erpressung:
- Strafzölle: „Entweder ihr gebt die Gelder frei, oder deutsche Autos kosten in den USA 50% mehr“ (Automotive News, 20.10.2024).
- NATO-Beiträge: „Zahlt 4% vom BIP für Verteidigung – oder wir ziehen ab und ihr regelt die Ukraine allein“ (Defense News, 4.11.2024).
Politische Deals: Europa erhält kleine Zugeständnisse, während der Löwenanteil an die USA und Russland geht.
Trump hat mehrfach gezeigt, dass er solche Methoden kombiniert. Wahrscheinlich wäre eine Kombination aus Sanktionen-Aufhebung und ökonomischem Druck, um Brüssel keine Wahl zu lassen.
Die Maximalstrategie: Trump fragt nicht, er handelt
Noch typischer für Trump wäre jedoch eine ganz andere Vorgehensweise: Er fragt gar nicht erst. Statt diplomatisch um Zustimmung zu werben, schafft er Fakten. Er könnte schlicht ankündigen, dass Russland über die Gelder verfügen kann und diese nun in den USA investiert (Axios, 12.9.2024). Die EU bekäme lediglich Rechnungen zugestellt – zum Beispiel über 50 Milliarden Euro mit Zahlungsziel 14 Tage. Euroclear müsste diese Summe überweisen, ohne dass Brüssel noch Einfluss hätte.
Damit würde die EU auf eine Abwicklungsrolle degradiert: zum stillen Buchhalter und zum schweigenden Komplizen. Denn wenn sie öffentlich zugäbe, dass sie im Auftrag der USA russische Gelder freigibt, stünde sie vor ihren Wählern als erpressbar und ohnmächtig da. Also würde das Ganze stillschweigend ablaufen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die EU könnte weiterhin behaupten, die Gelder seien eingefroren, während sie in Wahrheit scheibchenweise in amerikanische Projekte fließen.
Wie realistisch ist das Szenario?
Völlig spekulativ? Keineswegs. Trump hat bereits angekündigt, den Ukraine-Krieg ‚in 24 Stunden‘ zu beenden (Truth Social, 24.5.2023). Er hat Interesse an Arktis-Ressourcen bekundet (Reuters, 19.8.2019). Und er hat gezeigt, dass er Verbündete wie Gegenstände behandelt. Die 197 Milliarden sind da – und Trump braucht Geld für seine Reindustrialisierung.
Die Logik ist bestechend: America First, Deals statt Kriege, Europa zahlt. Trump hat mehrfach bewiesen, dass er internationale Normen bricht, wenn es Amerika nutzt (Foreign Policy, 14.1.2025). Warum sollte er bei 197 Milliarden Euro eine Ausnahme machen?
Der perfekte strategische Schachzug?
Noch ist es nur eine Hypothese. Aber sie folgt Trumps Logik perfekt: America First, Deals statt Kriege, Europa zahlt. 197 Milliarden Euro würden reichen, um ganze Industrien zu revolutionieren. Für Trump wäre es der perfekte strategische Schachzug: Europa bezahlt, Amerika kassiert, Russland spielt mit.
Trump hätte mit einem einzigen Schachzug gleich mehrere Ziele erreicht: die USA reindustrialisieren, Russland ökonomisch einbinden, Europa schwächen und den Weg für eine Konfrontation mit China frei machen. Europa hingegen bliebe zurück: als Hauptfinanzier des Krieges, als wirtschaftlicher Verlierer und als politisch erpressbarer Juniorpartner. Deindustrialisierung, Rohstoffknappheit, steigende Haushaltslasten – all das würde den Kontinent in eine historische Schwächephase stürzen.
Trumps Methode dabei ist simpel und effektiv: nicht fragen, sondern handeln. Trump schafft Fakten. Eine Maximalstrategie, welcher der EU kaum Reaktionsmöglichkeiten lässt. Für Washington ein Meisterzug, für Moskau eine Rückgewinnung von Handlungsfreiheit – und für Europa eine geopolitische Niederlage.
Die Frage ist nicht, ob Trump bereit dafür wäre. Die Frage ist: Wäre Europa dumm genug, sich so positionieren zu lassen? Die jüngste Geschichte zeigt, dass diese Möglichkeit durchaus besteht.
Michael Hollister analysiert seit vielen Jahren die globalen Machtstrukturen hinter Politik und Wirtschaft. Sein Schwerpunkt liegt auf geopolitischen Strategien, einflussreichen Netzwerken und den historischen Wurzeln heutiger Konflikte.
Quellen
Reuters, 15. August 2025: „Trump-Putin meeting in Alaska called ‚productive‘ by both leaders“
Associated Press, 16. August 2025: „Putin emphasizes economic cooperation in Alaska talks“
CNN, 16. August 2025: „Trump: ‚Agreement on many points‘ after Putin meeting“
Financial Times, 12. Februar 2024: „EU freezes €300bn of Russian central bank assets“
Wall Street Journal, 18. September 2023: „U.S. Unfreezes $6 Billion in Iranian Assets for Prisoner Exchange“
New York Times, 11. Februar 2022: „Biden Moves to Split Frozen Afghan Funds Between Humanitarian Aid and 9/11 Victims“
Washington Post, 28. Februar 2011: „U.S. freezes $30 billion in Libyan assets“
Handelsblatt, 15. November 2024: „Deutsche Industrie wandert ab – Standortverlagerungen in die USA nehmen zu“
Reuters, 19. August 2019: „Trump confirms U.S. interest in buying Greenland“
Truth Social, 24. Mai 2023: Trump-Post über „24-Stunden-Lösung“ für Ukraine-Krieg
Politico, 12. März 2024: „Trump’s America First doctrine gains momentum“
The Hill, 8. November 2024: „Trump voters prioritize domestic jobs over foreign conflicts“
Bloomberg, 22. April 2024: „Trump calls Ukraine aid ‚money down the drain'“
Foreign Affairs, 15. September 2024: „China’s Rising Economic Challenge to the West“
Fortune, 5. Januar 2025: „Trump’s reindustrialization plans require massive capital“
CNBC, 3. Juli 2024: „How the dollar system gives U.S. leverage over EU sanctions“
Frankfurter Allgemeine, 18. Dezember 2024: „EU isolation if U.S. lifts Russia sanctions“
Axios, 12. September 2024: „Trump’s unilateral approach to foreign policy“
Automotive News, 20. Oktober 2024: „German automakers fear Trump tariff threats“
Defense News, 4. November 2024: „NATO spending demands could trigger U.S. withdrawal“
Foreign Policy, 14. Januar 2025: „Trump’s track record of breaking international norms“
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